Im November 2017 begann Helmut Christof Degn mit einer Temperaserie, die ca. 36 klein- bis mittelformatige Leinwände umfasst. Blau-, Grün- und Weißtöne dominieren und weisen auf das generelle Thema der Arbeiten hin: das Element Wasser. „Sprössling“ (2017) stand am Anfang der Serie, der Künstler ist mit diesem Gemälde, wie er selbst sagt „viele Schlacken losgeworden“. Er hat sie verwandelt, in eine Art Schöpfung. Man muss bedenken, dass er zuvor eine mehrjährige malerische Pause eingelegt hat, eigentlich wollte er komplett mit der Malerei aufhören.
Die Faszination des Wassers, seine Verwandlungsstufen und Aggregatzustände, die Evolution der Erde und immer noch ungeklärte Fragen, etwa wie das Wasser eigentlich auf die Erde kam, haben den Künstler bei dieser Serie sehr beschäftigt. Wasser ermöglicht überhaupt erst Leben auf unserem Planeten, und so ist es unvermeidlich, sich auch mit der Fauna, der Flora und dem Menschen zu befassen. Das ungeborene Kind im Körper der Mutter befindet sich in einer Art Urwasser („Die Geburt eines Monsters“, 2017), aber auch der Großteil unseres Körpers besteht aus Wasser. Zudem thematisiert Degn die Wechselwirkung von Wasser mit anderen Elementen (Erde, Feuer, Luft). Er strebt in seinen Gemälden keine naturalistische Wiedergabe von Wasser an, sondern versucht sich beim Malen vielmehr in die Lage des Wassers zu versetzen.
Degn war schon immer sehr an Sprache und Sprachphilosophie interessiert. Der Titel „Im Schimmer der Halbfische“ (2018) ist eine Erfindung des Künstlers. Auf Nachfrage erklärt er, dass es zwar Halbgötter gebe, Halbfische hingegen nicht. „Sehnsucht“ (2018) zeigt vielleicht einen solchen Halbfisch, kantig-schräg ist dieser goldgelbe Fisch in der Mitte des Körpers abgeschnitten. Über ihm schwimmt ein stabförmiger blauer Fisch mit weißen Punkten, möglicherweise eine Muräne. „Vielleicht“, so denkt der Künstler laut nach, „symbolisiert dieses Bild auch die Sehnsucht des Halbfisches, ganz zu werden?“
Degn betitelt seine Werke immer erst im Nachhinein. Zu viel Spontanes passiert während des Malens. Er ist ein Meister jenes Grenzbereiches, wo Abstraktes ins Figurative kippt oder umgekehrt. Bei dieser Serie sind ihm die Arbeiten, und das spürt man, sehr leicht von der Hand gegangen. In „Handshake“ (2017) sei plötzlich eine Hand da gewesen, er habe sie fassen wollen; im weiteren Malprozess habe er sie ausformuliert und in eine Landschaft eingebettet.
Die Eitemperafarbe mischt sich der Künstler immer selbst im Atelier, oft verwendet er für einen Farbton auch zwei bis drei Pigmente. Fasziniert ist er von erdigen und grünen Pigmenten wie „Böhmische Grüne Erde“. In gelöster Form ändern die Pigmente ihre Farbe, sie verwandeln sich – ein Thema, das Degn schon seit seinen Anfängen als Maler beschäftigt. Er malt seine Bilder meist am Boden oder auf einem niedrigen Hocker sitzend, dennoch auf Distanz zu ihnen, da er seine Pinsel mit Bambusrohr verlängert. Für Details geht er näher an die Leinwand heran und verwendet kleinere Pinsel. Das Bild wird von allen Seiten bearbeitet, der Künstler bewegt sich beim Malen mehrmals darum herum.
Das Spannungsverhältnis zwischen Linien und Flächen war schon früh ein formales Thema des Malers, und auch hier setzt er es ein, wenngleich reduzierter. In den neuen Arbeiten tauchen erstmals ovale Formen auf. Manchmal sind es Wassertropfen, Quellen, Dampfblasen, Moleküle, schäumende Wellen, Kristalle, Lichtreflexe, dann wieder überraschende Elemente wie ein Rückspiegel. Das Gesicht und der Kopf, sicherlich die auffälligsten Formen am menschlichen Körper, erscheinen in mehreren Bildern. In „Gewölbe II“ (2018) wird ein ovaler Teil der Leinwand ausgespart, ein leerer Kopf vielleicht?
In den neuen Arbeiten findet auch einiges an Kommunikation statt, etwa zwischen zwei nebeneinanderschwimmenden Hunden („Freischwimmer“, 2018) oder zwei büstenartigen Figuren, die sich im Lauf eines Gesprächs zu lockern scheinen („Lockerung“, 2018). Offensichtlich hat sich auch der Künstler in seinem Arbeitsprozess immer wieder entspannende Bilder gegönnt. Insbesondere die abstrakten, monochromen Gemälde laden die Betrachter geradezu ein, sich in eine meditative Stimmung zu versetzen. So wie wenn unser Blick auf das Meer hinausschweift und dort verharrt oder wir einen Wassertropfen im Detail betrachten und uns darin verlieren. Solche Bilder tun der gesamten Serie sehr gut, denn Pausen sind auch für die Betrachter notwendig, Degn fordert ja mit vielen seiner Gemälde unser Sehvermögen stark heraus.
Hat der Künstler in seinen früheren Werkphasen oft verschiedene Medien als Ausgangspunkt oder Inspiration verwendet (Film, Foto, Frottage, Skizze, Zeichnung), so kommen die neuen Arbeiten fast gänzlich ohne direkte Vorlage aus. Es ist eine Malerei ohne Umwege, eine Malerei aus dem Kopf und aus der Hand heraus. „Die Überfahrt“ (2017) wurde aus der Erinnerung gemalt, der Erinnerung an ein Gemälde des niederländischen Malers Jan van Goyen, das Degn einmal im Kunsthistorischen Museum Wien gesehen hat. „Dunkle Quellen“ (Juni 2018) ist das letzte Bild der neuen Serie. Es zeigt die Urkräfte des Wassers und gibt auch dem Unerklärlichen viel Raum. Vielleicht ist dieses Werk die Synthese der ganzen Serie. Das Gemälde, eine Schöpfung für sich. Der Mensch und Maler Helmut Christof Degn in seinem siebzigsten Lebensjahr ist ein Teil dieses Kosmos.
Christine Humpl-Mazegger (geb. 1971 in Schruns) hat Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften in Innsbruck,
New Orleans und Chicago studiert. 2000–2009 Kuratorin im Essl Museum, Klosterneuburg; seit 2010 freischaffende kuratorische und publizistische Tätigkeit; seit 2016 Mitarbeit im Arnulf Rainer Museum, Baden.
© bei der Autorin; Lektorat: Birgit Trinker, Wien
Helmut Christof Degn studierte bei Walter Eckert an der Akademie der bildenden Künste in Wien Malerei und schloss das Studium 1977 ab. Bereits im vorletzten Studienjahr suchte er nach experimentellen Formen für seine Malerei. „Ich wollte einfach weg vom Gegenstand“, erklärt er. In den Jahren 1976 bis 1983 entstanden zwei Serien, die FilmZeichnungen und die TV-Zeichnungen. Zusammen umfassen sie ca. 60 Arbeiten in verschiedenen Zeichen- und Maltechniken. Meist arbeitete Degn auf Papier, manchmal auch auf Leinwand. 30 Zeichnungen hat der Künstler nun für die Ausstellung in der Galerie Mathias Mayr ausgewählt.
In den 1960er- und 1970er-Jahren experimentierten bildende Künstlerinnen und Künstler mit den neuen Kommunikationsmitteln und auch den Massenmedien Film und Fernsehen. Degns Medienarbeiten erhielten damals in der Kunstszene viel Aufmerksamkeit. Zwischenzeitlich sind sie leider ein wenig in Vergessenheit geraten – die Aufnahme in eine mediengeschichtliche Ausstellung wäre eine Entdeckung für den Kunstmarkt. Umso erfreulicher, dass Mathias Mayr sich entschieden hat, Degns avantgardistische Film- und TV-Zeichnungen zu zeigen. Sie geben nicht nur den damaligen Zeitgeist und die mediale Aufbruchstimmung in der Kunstszene wieder, es ist auch frappierend, wie frisch und zeitlos sie immer noch wirken. Nicht zuletzt bilden sie das Fundament für viele weitere Werkphasen von Helmut Christof Degn, der sich nach 1983 fast ausschließlich der Malerei gewidmet hat.
Selbst gedrehte Super-8-Filme ohne Ton waren der Ausgangspunkt für Degns FilmZeichnungen von 1976 bis 1983. Er projizierte sie im Atelier auf ein Blatt Papier, das an der Staffelei befestigt war, und begann zu zeichnen oder zu malen. Das Blatt wurde immer dichter mit Linien, grafischen Kürzeln, Zeichen- und Malspuren bedeckt und war fertig, wenn der Film aus war. Die Projektionsgeschwindigkeit konnte der Künstler anpassen. 18 Bilder pro Sekunde war die Normalgeschwindigkeit, diese verlangsamte er manchmal auf bis zu drei Bilder pro Sekunde. Da er mit dem Projektor den Abstand zur Staffelei frei wählen konnte, entstanden FilmZeichnungen in unterschiedlichen Formaten. Die kleinsten sind in A4 und meist in Bleistift, Buntstift oder Ölkreide ausgeführt; die größeren erreichen ein Format von bis zu 65 × 90 cm und wurden meist direkt aus der Tube in Ölfarbe gemalt.
Seine Themenwahl erklärte Degn einst folgendermaßen („Helmut Christof Degn“, Eigenpublikation, 1980, o. S.): „Der subjektiven Logik meiner inneren Stimme folgend, fange ich mit einer handlichen Kamera Vorgänge ein, die mir zwingend erscheinen.“ Er drehte dokumentarische Filme in der Natur und über Naturereignisse, nahm folkloristische Veranstaltungen wie Trachten- oder Maskenumzüge auf, aber auch private Ereignisse, etwa Feste oder Reisen. Häufig filmte er physikalische Vorgänge, beispielsweise das Kochen von Wasser, oder sehr abstrakte Details, wie den Spalt in einem Felsen. Durch das Aneinanderreihen von Filmen entstanden Abspiellängen von bis zu 30 Minuten. Oft kombinierte er in surrealistischer Manier Themen, die offensichtlich nichts miteinander zu tun hatten, und gab den FilmZeichnungen entsprechende Titel, wie „Karneval unter Wasser I“ (1980) oder „Schnitzpuppe und Wasserbaum 1“ (1980). Degns Handschrift war jedoch alles andere als surrealistisch, man könnte sie eher als gestisch-abstrakt, vielleicht auch informell, beschreiben. Bei den FilmZeichnungen schöpfte der Künstler aus einem großen Themenrepertoire, ließ sich aber auch von Stimmungen und Einfällen leiten. Seine Absicht war es, die „momentan stärksten Eindrücke des Filmes“ bildnerisch festzuhalten. Die Zeichnungen entstanden einerseits ganz frei, fast automatisch, andererseits mit hoher Konzentration; sie erforderten eine multimediale Aufmerksamkeit des Künstlers. Während des Schaffensprozesses verdichteten sie sich immer mehr, verselbstständigten sich und entwickelten eine Eigendynamik. Der Film verschwand zunehmend hinter der Zeichnung, Zeichen- und Malspuren wurden wie ein Filter über ihn gelegt. Der Künstler verwandelte die Immaterialität des Films (Licht) in ein materielles Ergebnis (Zeichnung).
Zweimal hat Degn seine FilmZeichnungen auch vor Publikum ausgeführt. In der Ausstellung ist eine Kohlezeichnung zu sehen, das „Relikt“ einer FilmZeichnungs-Performance im April 1979 in der Galerie Ynsprugger Werkstatt, die sich damals am Marktgraben in Innsbruck befand. Eine weitere Performance mit dem Titel „FilmZeichnung“, die auch mit Video dokumentiert wurde, fand im März 1980 in der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Wien statt.
Zeitgleich mit den FilmZeichnungen entstanden ab 1976 die ersten TV-Zeichnungen (früher auch Bildschirmzeichnungen genannt). Anfangs waren es Zeichnungen auf Papier, welche der Künstler live anfertigte, während er sich im Fernsehen ein Sendung anschaute. Dabei ruhte der Malträger auf seinen Knien und das Fernsehprogramm zog wie eine Landschaft an ihm vorbei. Die meisten Sendungen wurden schon in Farbe ausgestrahlt, denn der ORF hatte mit dem Neujahrskonzert 1969 das Farbfernsehen eingeführt. Unabhängig davon verwendete Degn, je nach Inspiration und künstlerischer Notwendigkeit, in seinen Zeichnungen verschiedene Farben oder nur Schwarz. Schon bald entschied er sich, die Zeichnungen direkt am Fernsehschirm anzufertigen. Die Bildschirme waren damals kleiner, und daraus ergab sich für die Zeichnungen ein Format von 33 × 43 cm. Vor Beginn einer Sendung befestigte er nun ein Blatt Transparentpapier am Bildschirm und folgte, ähnlich wie bei den FilmZeichnungen, mit einem Stift (Bleistift, Buntstift, Ölkreide) oder Pinsel (Aquarellfarbe) den jeweils stärksten Eindrücken. Wenn die Sendung aus war, nahm er das Blatt ab und legte es in in ein Fach in seinem Grafikschrank, manche Zeichnungen führte er noch weiter aus.
Degn hatte damals wohl ein Faible für Liveübertragungen der Sportarten Skifahren, Fußball, Eishockey und Volleyball. Er vermerkte immer auch wichtige Informationen und Zwischenergebnisse handschriftlich auf dem Blatt. So lautet der Titel einer Bleistift-TV-Zeichnung zum Beispiel: „Skirennen: 12 Läuferinnen, davon 3 gestürzt“ (19. 1. 1979); oder die Meisterrunde einer Eishockey-Weltmeisterschaft, die in dickflüssiger Aquarellfarbe festgehalten wurde, endete so: „Schweden gegen Kanada, 3 : 1“ (20. 4. 1981). Damals aktuelle Spielfilme wie „Pioniere im Norden“ (21. 4. 1981) oder „Der Erfinder“ (22. 4. 1981) wurden vom Künstler ebenfalls in TV-Zeichnungen verwandelt. Auch Kabarett- und Unterhaltungsprogramme schaute er sich gerne an, Otto Grünmandl und Karl Farkas wurden auf so mancher TV-Zeichnung verewigt. Auf dem Blatt „Royal Variety Performance“ (23. 4. 1981) vermerkte Degn akribisch die Gäste, die in der Show auftraten: die Muppets, Nureyev, Shirley MacLaine, Harry Belafonte.
Sowohl die Film- als auch die TV-Zeichnungen sind so etwas wie der Bildextrakt eines Films oder einer Sendung. Die Blätter haben die Zeit gut überstanden, sie können viel einfacher konserviert werden als ein Film oder digitale Daten, bei denen sich die Technik sehr rasch verändert. Spannend bei den Film- und TV-Zeichnungen von Helmut Christof Degn ist auch die Mehrfachfunktion des Künstlers. Er ist Zuschauer, Akteur, Maler und manchmal Kameramann. Der Künstler kann Einfluss auf den Film und die Handlung nehmen, und seine Zeichnungen ersetzen, je weiter sie gedeihen, auch den Regisseur und die Schauspieler. Vielleicht ist Degn ein Vermittler zwischen dem Film und den Zuschauern und ermöglicht ihnen eine neue Dimension des Sehens? Ganz im Sinne von Paul Klee, der 1924 sagte: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“
Mit der Medienkunst hat Helmut Christof Degn 1983 aufgehört. Er feierte damit zahlreiche Erfolge und erhielt viel mediale Aufmerksamkeit, vor allem für seine „Ohrenlichtspiele“ (mediensynthetische Performances), die gleichzeitig mit den Film- und TV-Zeichnungen von 1976 bis 1983 in Galerien, Kinos und Ausstellungshäusern in Österreich und Deutschland aufgeführt wurden. Als Medienkünstler arbeitete er auch an großen Theaterproduktionen mit und gestaltete Live-Bühnenprojektionen („Lenz“, Georg Büchner, Münchner Stadtmuseum, 1982; „Medea“, Heiner Müller, Schauspielhaus Wien und Staatstheater Karlsruhe, 1983). Das wurde ihm, wie er sagt, „etwas zu intensiv“, unter anderem das „nächtelange Diskutieren mit den Schauspielern“. Zudem veränderte sich die Medientechnik rasant und eine weitere Beschäftigung mit ihr hätte ihn vielleicht zu weit weg von seinen Wurzeln, der Malerei, geführt. 1984 entstanden bei einem Stipendienaufenthalt in Rom – die klassische Künstlerreise – neue malerische Arbeiten.
Im gesamten 40-jährigen Schaffen von Helmut Christof Degn ist gut zu sehen, mit welcher Hingabe und Disziplin er an seine Kunst herangeht und wie frei, spontan und intuitiv er zugleich bleibt. Der Grundstein zu dieser Arbeitsweise wurde wahrscheinlich schon in der frühen Werkphase der Film- und TV-Zeichnungen gelegt. Degn vermag in seiner Kunst viele Gegensätze zu vereinen: Er verdeckt und legt offen, er arbeitet im Detail und gleichzeitig im Ganzen, er verwendet Linien und Flächen, schwankt zwischen Figuration und Abstraktion, schafft komplexe und dann wiederum leichte, fast verspielte Werke. Er ist ein Freigeist, der sich nicht einschränken möchte und sich erst recht nicht einschränken lässt. Alles, auch die Medienkunst, führt bei Helmut Christof Degn schließlich zu einem Bild.
Christine Humpl-Mazegger (geb. 1971 in Schruns) hat Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften in Innsbruck,
New Orleans und Chicago studiert. 2000–2009 Kuratorin im Essl Museum, Klosterneuburg; seit 2010 freischaffende kuratorische und publizistische Tätigkeit; seit 2016 Mitarbeit im Arnulf Rainer Museum, Baden.
November 2018; © bei der Autorin; Lektorat: Birgit Trinker, Wien